Von der Seelenruhe: Seneca und das 21. Jahrhundert

Wie sehr schreit die gegenwärtige Zeit nach Seelenruhe. Doch am Ende rennen und hasten viele durch das Leben, ohne inne zu halten. Der Stoiker Seneca hat schon früh erkannt, auf was es im Leben ankommt, um dieser Seelenruhe einen Raum zu geben und trifft damit den Nerv der Zeit.

von Linda Lorenz

Der Stoiker Seneca war zwar einer der reichsten Männer des römischen Reichs aber er wusste zwischen den Zeilen zu lesen und sich nicht verblenden zu lassen von seiner Macht. Ihm war es wichtig, das kurze Leben so gut und sinnvoll wie möglich zu nutzen. In seinem Stil: der Muße. Trotz seines Reichtums bediente er sich einer teilweise asketischen Lebensführung, so schlief er auf einem harten Bett und bediente sich der Enthaltsamkeit in einigen Bereichen.
In einem Brief an Seneca fragte sein Freund Serenus, von innerer Unruhe geplagt, wie man “der Seele zu einem gleichmäßigen und heilsamen Gange verhelfen kann.” Seneca antwortet auf diese Frage sehr detailliert. Viele seiner Ansichten können mühelos in die Gegenwart transferiert werden und treffen somit den Nerv der Zeit.
So schlägt ihm Seneca unter anderem vor, sich die Menschen im persönlichen Umfeld genau auszusuchen, um seine innere Ruhe nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen:

„Was die Menschen anbelangt, mit denen man es zu tun hat, so ist eine Auswahl ganz unerlässlich. Man fragt sich: Sind sie es wert, dass wir einen Teil unserer Zeit an sie wenden? Kommt, was wir an Zeit an sie verlieren, ihnen wirklich zugute?“

Enthaltsamkeit: Wellness für die Seele

Besonders sensible Menschen neigen dazu, Energien wie ein Schwamm aufzusaugen und tun gut daran, sich mit Menschen zu umgeben, die ihre Energie nicht aussaugen. Was heute als Selbstliebe und Abgrenzung deklariert wird hat Seneca schon damals erkannt. Die Ruhe des Alleinseins ist auch hier nicht zu verachten, denn dann gewinnen wir wieder Zugang zu unserer Intuition, die uns ganz genau sagt, welche Menschen und Energien uns gut tun und welche uns eher beunruhigen. Tim vom Blog „MyMonk“ stellt hierfür folgende Frage: “Würdest Du die Menschen in Deinem Leben bewusst noch einmal wählen?” Und rät hier dazu, Zeit mit Menschen zu verbringen, die uns unterstützen und uns wohlwollend gegenüberstehen.
Doch nicht nur durch die bewusste Wahl der Mitmenschen wird, laut Seneca, die Seelenruhe unterstützt sondern auch indem man sich auf die Enthaltsamkeit beruft. In Zeiten des Materialismus und Kapitalismus scheint dies ein schwieriges Unterfangen zu sein:

„Lernen wir, die Enthaltsamkeit zu steigern, die Genusssucht in Schranken zu halten, die Ruhmbegierde zu mäßigen, den Jähzorn zu lindern, mit der Armut uns auf freundlichen Fuß zu stellen, die Genügsamkeit in Ehren zu halten.“

Die Tiny House Bewegung, Slow Food, Postwachstumsökonomie und viele andere Bewegungen haben eines in unserer Wachstumsgesellschaft mittlerweile erkannt: Weniger ist mehr. Kontemplation und Selbstregulation sind quasi 21st Century Skills. Durch die Beschränkung auf das Wesentliche kann erst ein wirkliches Genießen statt finden, durch Bescheidenheit kann Erfolg erst richtig genossen werden, durch weniger Habseligkeiten können diese viel mehr wertgeschätzt werden und die Seele bekommt endlich einen Raum, um sich zu entfalten, wieder kreativ zu werden und einen offeneren Blick auf die Welt zu erlangen – indem man sich nicht mehr durch äußere Erfolge, dem Materiellen und dem Rennen von einem Entertainment zum nächsten in die eigene Enge treibt. Die Seele muss atmen können, um zu etwas Höheren aufzustreben, zu einem Bewusstsein, das weit über den Materialismus hinaus wächst und auf einen Weg hin zu einer universellen Liebe und Verbundenheit statt zu Abgrenzung und Trennung führt. So steht es auch mit dem letzten Zitat Senecas, welches hier erwähnt werden soll:

„Aufräumen muss man mit dem ewigen Hin- und Herrennen, das so viele Menschen in Atem hält, die in Häusern, Theatern, auf den Marktplätzen herumschwirren. Sie drängen sich anderen auf, um für sie tätig zu sein, und sie sehen immer aus, als hätten sie etwas zu tun. Fragst Du einen von ihnen (…) wohin? Was hast Du vor? So wirst Du zur Antwort bekommen: Wahrhaftig, ich weiß es selbst nicht.“

Entschleunigung benötigt Vertrauen

Das Rennen um etwas, was man nicht greifen kann ist Teil dieser globalisierten, kapitalistischen Welt geworden. Karriere, Besitz, Erfolg, das neuste iPhone – die Frage nach dem “Warum” kann niemand beantworten. Doch erst im zur Ruhe finden, im Innehalten, im Stehenbleiben kann eine Antwort gefunden werden. Diese scheint anfangs zu erschrecken, zu schockieren oder ein ungläubiges Lachen auszulösen. Vielleicht verbunden mit einer Krise, des nicht Wissens wohin, was soll man nun mit dem Leben anfangen? Einem Leben, welches nun nicht mehr dem Rennen sondern dem Entschleunigen gewidmet sein will. Hierfür ist das Vertrauen nötig, das uns oft von Wirtschaft und Politik abgenommen wird. Doch liegt das Vertrauen und alle Weisheit schon tief in uns. Wir wissen längst wo die Reise hingeht, warum wir auf der Erde sind, was unsere Bestimmung ist und was wir mit einem entschleunigten Leben anfangen wollen. So mag es anfangs erst einmal beunruhigend sein, wenn die Seelenruhe in uns eintritt. Aber es lohnt sich dieses erste Unbehagen zu überwinden. Denn die Seelenruhe hilft uns klare Antworten auf Fragen wie die des „Warum“ und „Wohin“ zu finden. (llo)

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