Die Seele und der Fluss des Lebens

Unsere Seele liebt den Fluss des Lebens. Dieser fließt ohne unser Zutun. Doch was unsere Seele erfreut, betrachtet unser Verstand als kritisch. Wie können wir lernen, dem Fluss des Lebens zu vertrauen und uns seiner Kraft hinzugeben?

von Linda Lorenz

In Bern gibt es einen Fluss – die Aare. Sie ist türkis-blau und ihre Strömung ist rasend schnell. Im Sommer lassen sich viele Menschen, oft mit Packsack, die Aare hinunter treiben, bis zu ihrem nächsten Ziel. Viele lachen dabei und haben eine immense Freude daran, sich diesem Fluss hinzugeben. Selbst als ZuschauerIn wird man ganz heiter, wenn man diesem bunten Treiben zusieht. Die Menschen tun hier etwas, was im Alltag oft blockiert ist: loslassen und vertrauen.
Es gibt zwei Instanzen, die sich immer wieder im Streit miteinander befinden: Die Seele und der Verstand. Die Seele will neue Erfahrungen machen, sich entwickeln, wachsen, sich treiben lassen, dem Fluss des Lebens folgen. Unser Verstand hingegen hält sich gern an etwas fest. An Steinen, Schlingpflanzen oder schlimmer noch: er rudert zurück, um etwas wieder zu gewinnen was längst vergangen ist, um etwas wieder gut zu machen oder zu verändern – was eine enorme Kraftbewältigung erfordert und uns müde und erschöpft werden lässt.

Vertrauen gewinnen und sich treiben lassen

Ein Fluss hat Steine, ein Fluss hat Schlingpflanzen. Manchmal verheddern wir uns darin, manchmal stoßen wir uns an. Aber wenn wir dem Fluss des Lebens vertrauen, befreit er uns aus diesen Verhedderungen ganz von selbst. Die blauen Flecke, die Schmerzen, wenn wir uns an den Steinen stoßen, bleiben manchmal nur ein paar Stunden oder Tage, manchmal mehrere Jahre. Aber eins ist gewiss: der Fluss trägt uns weiter und weiter. Wir müssen nichts dafür tun. Freilich können wir ab und zu die Seite wechseln oder ein bisschen schneller schwimmen, aber wir können nicht verhindern DASS wir schwimmen. Sobald wir uns dagegen wehren und uns verzweifelt an einem Stein oder einer Pflanze festklammern, wird etwas in unserem Lebensfluss blockiert. Wir merken dies daran, dass nichts mehr „rund“ läuft und sich alles was wir tun sperrig anfühlt. Denn das Festhalten entspricht nicht dem Prinzip der Seele.
Wenn im Leben alles schief zu gehen scheint, wir Ablehnung erfahren, Krankheit, etc. dann hilft es, sich dem Fluss des Lebens bewusst hinzugeben, zum Beispiel in einer täglichen Meditation, in der man sich einen Fluss vorstellt in welchem man treibt. Osho hat hier eine wunderbare Meditation dazu erfunden, die ich im Anschluss mit Euch teilen werde. Es hilft, sich auch beim Einschlafen einen Fluss vorzustellen, in dem man leicht und sanft in den Schlaf getragen wird. Wenn im Alltag die Angst empor steigt, wenn wir uns überrumpelt fühlen von zu vielen Ereignissen, können wir uns diesen Fluss erneut vorstellen, von dem wir getragen werden, der für uns da ist und uns Sicherheit gibt, in dem er uns immer weiter trägt.

Der Fluss fließt ohnehin

Den Verstand auszuschalten bedarf Übung und Bewusstseinsarbeit. Es ist nicht schlimm, es immer wieder erneut probieren zu müssen, sich immer wieder erneut dafür zu entscheiden. Der Verstand mag Angst erzeugen, aber um unsere Seele atmen zu lassen, hilft es, durch diese Angst hindurch zu gehen und dem Fluss zu vertrauen. Wir gehen durch diese Angst, indem wir sie annehmen, in sie hinein atmen – ganz in Ruhe. Indem wir die körperlichen Symptome der Angst, zum Beispiel Brustenge, Übelkeit, Unruhe, wahrnehmen und in unser Herz schließen. Um unsere Seele bei ihren Erfahrungen und ihrem Wachstum zu unterstützen, ist es wichtig, Schwierigkeiten im Leben als Lernerfahrung zu betrachten und das Geschenk dahinter zu entdecken, anzunehmen was wir nicht ändern können und zu verstehen, dass wir nicht alles verstehen können. Die Krux ist, dass der Fluss des Lebens Dich sowieso vorwärts tragen wird, es passiert einfach. Also ist es besser, sich treiben zu lassen, als dagegen anzukämpfen. Der Stein, an dem Du dich gestern noch gestoßen hast, wird morgen schon weite Kilometer hinter Dir liegen. Wozu nochmal zurückschwimmen, um zu versuchen, ihn zu verrücken? Vielleicht tun die nächsten Kilometer noch ein wenig weh. Aber der Fluss sorgt für Dich. Er trägt Dich möglicherweise an Orte, die Dir helfen mit dem Schmerz zurechtzukommen. So beschrieb schon Hermann Hesse in „Siddharta“ wie der Fluss den Protagonisten lehrte still zu werden, zu lauschen und dem Herzen zu vertrauen.
Unsere verspielte Seele liebt es, im Fluss zu baden. Wenn es uns schwer fällt, uns diesen Fluss und das Treibenlassen vorzustellen, lohnt sich vielleicht eine Fahrt nach Bern und ein Sprung in die Aare. Eine ganz hautnahe Übung des „Sich-Treiben-Lassens“ und der Strömung des Lebens zu vertrauen.

Osho-Meditation

 

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